Ich bin neu in Wiesenkirchen: Mein erstes Mal “Die Landarztpraxis”
In dieser Rubrik hat sie sich schon einige Filmperlen angeschaut. Dieses Mal begibt sich Nicola allerdings auf neue Pfade und nimmt die Erfolgsserie “Die Landarztpraxis” unter die Lupe. Wie cool können Seifenopern heutzutage sein?
Faszination Dailys
Das Konzept von Soaps war mir schon immer ein Rätsel. “Sturm der Liebe”, “Rote Rosen” und Co. laufen jeden Tag und das seit Jahrzehnten. Das Setting ist irgendwie immer gleich: Wir begleiten eine Gruppe von Menschen durch ihren Alltag und erleben mit ihnen große Gefühle, kleine Gemeinheiten und endlose Verwicklungen.
Die Formel für eine erfolgreiche Soap klingt eigentlich ganz simpel: In der Regel sind wir in einer beliebigen deutschen Großstadt. Manchmal dreht sich alles um einen Ort oder eine Institution (Hotel, Krankenhaus, Kanzlei). Die Charaktere können aber auch ganz unterschiedliche Jobs haben und dafür auf dem gleichen Kiez wohnen. Wichtig ist: Alle müssen sich irgendwie kennen.
Egal wo und egal wer, es gibt auf jeden Fall jede Menge Drama, Herzschmerz und Intrigen. Aber was fasziniert die Leute daran?
Was erwartet mich bei “Die Landarztpraxis”?
Dieser Frage möchte ich nachgehen und wage mich – quasi beruflich bedingt – in die idyllische Welt der “Landarztpraxis”. Zugegeben, Jahrzehnte gibt es diese Serie zwar noch nicht, aber mit drei Staffeln, fast 100 Folgen und konstant guten Einschaltquoten, kann die SAT.1-Vorabendserie definitiv mit großen Playern der Konkurrenz-Sender mithalten.
Was erwarte ich von meinem Erstbesuch in der Landarztpraxis?
Ganz viel Kitsch: Sowohl in den Rollen und Dialogen, als auch in der Szenerie und Musik. Es muss triefen!
Unglaubwürdige Handlungen: Wir kennen alle mindestens eine Serie, in der nach dem dramatischen Tod eines Fanlieblings aus dem Nichts der böse Zwilling auftaucht, von dem vorher kein Mensch wusste. Auch beliebt: der Gedächtnisverlust nach einem Unfall.
Nicht immer oscarreife schauspielerische Leistungen und flache Witze. Dafür sehen alle Beteiligten überdurchschnittlich gut aus.
Klischee-Alarm: Das bayerische Abenteuer beginnt
Schon in der ersten Szene erfüllen sich meine Erwartungen. Ein flotter Popsong, Schwarzblende auf ein gelecktes Bergpanorama und eine idyllische Landschafts-Drohnenaufnahme nach der anderen.
Protagonistin Sarah König (Caroline Frier) eröffnet mit einem Monolog im Stil eines 2000er-Teenie-Films. Ihre Vorstellung endet mit den Worten: “Ich hoffe wirklich, dass das für alle gut ausgeht.” Bei knapp 100 Folgen wage ich zu bezweifeln, dass es so kommt.
Was ist die Story? Sarah und Tochter Leo (Katharina Hirschberg) sind extra aus Berlin angereist, um im beschaulichen Bayern Ferien zu machen. Wir wissen, dass das Damen-Duo aus Berlin kommt, denn Leo nennt Sarah “Mum” – richtig cool. Im Gegensatz dazu sprechen die wenigsten Bewohner:innen Wiesenkirchens Hochdeutsch und die meisten tragen rund um die Uhr Tracht – bayerische Dorfklischees? Check.
Leider ging für mich auch der erste Auftritt von (ich denke Mal Liebeskandidat Nummer 1) Dr. Fabian Kroiß (Oliver Franck) in die Hose. Sarahs alter Studienkollege ist natürlich prompt zur Stelle, als Leo und sie von einer munteren Dorfbewohnerin im tiefstem Bayerisch angequatscht werden. Zugegeben, der junge Arzt ist ein schmucker Kerl und auch im Kittel nett anzusehen. Sein Witz “Na, braucht ihr einen Übersetzer” kam bei mir aber überhaupt nicht an und schürt eher meine oben erwähnten Sorgen.
Bösewichte, Bergpanorama und Beziehungsdrama: Warum Vorhersehbarkeit was Feines sein kann
Sind die Storylines vorhersehbar? Klar! Cool ist es aber trotzdem. Als ich mich dann nach ein paar Minuten dem Geschehen auf dem Bildschirm hingegeben habe, fühlte ich mich wirklich gut unterhalten und musste sogar hier und da schmunzeln:
Sämtliche Dorfklischees werden knallhart durchgezogen: Natürlich hilft der örtliche Hausarzt auch bei einer Kalbsgeburt auf dem Bauernhof, natürlich tuscheln die lokalen Teenies entsetzt über die vorbeigehende Leo und stempeln sie als komischen Neuling ab und natürlich gibt es im ganzen Ort nur ein Wirtshaus, in dem sich am Abend das ganze Dorf trifft – in Tracht versteht sich.
Der Bösewicht ist schnell identifiziert. Fabians Vater, Georg Kroiß (Christian Hoening) ist für mich top besetzt. Er ist so überzeichnet als “der Böse”, dass es fast schon karikaturhaft wirkt – inklusive düsterer Erkennungsmelodie, die jedes Mal erklingt, wenn er ins Bild kommt. Sein dauerhaft finsterer Blick tut sein Übriges. Die Botschaft ist klar, subtil ist das nicht: Mit dem Typen stimmt was nicht.
Wir bekommen maximal zwei Minuten Handlung, dann dürfen wir uns wieder im Bergpanorama optisch erholen. Die Drohnenaufnahmen haben sich auf jeden Fall gelohnt. Ob in Wiesenkirchen auch mal schlechtes Wetter ist?
Natürlich gibt es nicht nur einen Mann in Sarahs Leben. Ich gehe mal stark davon aus, dass der Bergretter Max Raichinger (Alexander Koll) zum Nebenbuhler wird und sie sich früher oder später zwischen ihm und Doktor-Kollegen Fabian entscheiden muss.
“Die Landarztpraxis”: Seichte Unterhaltung mit Herz
“Die Landarztpraxis” bietet genau das, was ich erwartet habe: eine leichte Dosis Kitsch, durchaus vorhersehbare Handlungsstränge und charmante Klischees, die man nicht zu ernst nehmen sollte.
Ja, man muss sich definitiv auf diese Art der seichten Unterhaltung einlassen. Aber dann ist es eine tolle Möglichkeit, sich einfach mal berieseln zu lassen. Trotz (oder gerade wegen?) der Vorhersehbarkeit und der bewusst zugespitzten Charaktere schafft die Sendung das, was sie soll: Eine Flucht aus dem eigenen Alltagsstress.
Ich kann jetzt verstehen, warum so viele Menschen treue Anhänger:innen von Daily Soaps sind: Über Jahre und Staffeln begeistert man sich für die einzelnen Figuren und fiebert mit ihrem Leben mit. Und ja, auch ich würde gerne wissen: Was hat Fabians Vater gegen Sarah in der Hand? Ist er wirklich Leos Vater? Für welchen Lover wird sich Sarah am Ende entscheiden? Wie gut, dass man alle Folgen auf Joyn binge-watchen kann